Meisterwerke erzielen Preise wie nie zuvor, Künstler werden als Stars gefeiert – zeitgleich entsteht ein demokratischer Markt für bezahlbare Gemälde, Fotografien und Skulpturen. Doch worauf kommt es bei einem Werk an, was darf es kosten? Ein Wegweiser

Manchmal sind selbst noch so coole Kunstexperten verblüfft: Zum Beispiel, als Pablo Picassos „Les femmes d’Alger“ bei einer Auktion im vorigen Jahr für 179,4 Millionen Dollar verkauft wurde. Ansonsten hat man sich daran gewöhnt, dass Werke zeitgenössischer Künstler wie Jackson Pollock oder Andy Warhol und deutscher Superstars wie Sigmar Polke und Gerhard Richter regelmäßig mehrstellige Millionensummen einbringen. Rekordhalter der lebenden Künstler ist der 51-jährige Brite Damien Hirst, der 2007 einen mit 8600 Diamanten besetzten Platinabguss eines Schädels für 75 Millionen Euro verkaufte.

Solche Wertsteigerungen wecken Begehrlichkeiten – abgesehen davon, dass Kunst dem Zuhause eine individuelle Note verleiht. Das Interesse an Malerei, Fotografie und Skulptur wächst in allen Gesellschaftsschichten – und sorgt für ein breiteres Angebot. Immer mehr Galerien, Messen und Auktionen locken Kunstinteressenten an.

Und während am einen Ende der Skala stets neue Preisrekorde geknackt werden, bildet sich am anderen Ende der Trend heraus, qualitativ hochwertige Werke zu bezahlbaren Preisen zu vermarkten. Doch wie findet man den Einstieg in die Welt der Kunst? Wie lernt man, den Wert von Bildern und Künstlern richtig einzuschätzen und solche mit Potenzial zu erkennen?

WEGE ZU GUTER KUNST:

Figur der Zeitgeschichte Der Bildhauer Stephan Balkenhol ist bekannt für seine naturalistischen Holzskulpturen

1. ÜBERSICHTSSCHAUEN
Am besten kann man sein Auge bei Ausstellungsbesuchen schulen. Übersichtsschauen helfen, das Spektrum zu überblicken. Wer qualitativ hochwertige, im Markt anerkannte Kunst sehen will, sollte die seit 1895 in Venedig stattfindende Biennale besuchen: Dort gibt es neben einer kuratierten, also von einem künstlerischen Leiter ausgewählten, Gruppenschau 28 Länderpavillons, in denen Künstler ihre Arbeiten zeigen. Die Biennale dauert von Mai bis November, die nächste findet 2017 statt. Ebenso empfehlenswert ist ein Besuch der alle fünf Jahre in Kassel stattfindenden Documenta – im Juni nächsten Jahres gibt es wieder Gelegenheit dazu. Mitten in der Stadt wird aktuelle internationale, oft eigens für die Schau produzierte Kunst gezeigt.

Wird ein Künstler für eine der beiden Schauen ausgewählt, gilt dies als Ritterschlag. So bespielte die in Berlin lebende Koreanerin ­Haegue Yang in Venedig 2009 den Pavillon ihres Heimatlandes, auf der Documenta 2012 hatte sie einen eigenen Raum für ihre Installationen aus Jalousien. Bekannt geworden ist sie jedoch durch eine Schau im Hamburger Kunstverein 2008.


Kunstbegriff Rupprecht Matthies gestaltet Werke aus Worten – manchmal sogar gemeinsam mit Laien

2. KUNSTVEREINE
Sie bieten deutschlandweit eine sehr gute Möglichkeit, die Arbeiten experimentierfreudiger Künstler und Kuratoren kennenzulernen. Kunstvereine laden von Aachen bis Zwickau zu Ausstellungen ein. Die Eröffnungen sind ein bunter Szenetreff, auf dem man mit Künstlern ins Gespräch kommen kann.

Besonders beliebt sind die sogenannten Jahresgaben. „Einmal pro Jahr können Mitglieder Originale und Editionen oft weit unter Galeriepreis erwerben“, sagt Bettina Steinbrügge, Direktorin des Hamburger Kunstvereins. Wenn es sich um begehrte Werke handelt, entscheidet das Los, wer sie erwerben kann. Den Kunstvereinen geht es darum, mit qualitativ hochwertigen Werken ein jüngeres Publikum zu begeistern und vielversprechenden Nachwuchskünstlern erste Schritte in den Markt zu ermöglichen. Viele Arbeiten kosten nicht mehr als ein paar Hundert Euro.


Massenmarkt Die Affordable Art Fair zieht an mittlerweile 14 Standorten Tausende Fans an

3. KUNSTMESSEN
Wer in den 70er-Jahren Glück hatte, konnte zu diesem Preis ein Gemälde oder eine Fotografie von Sigmar Polke erwerben, die heute ein Vielfaches wert ist. Kunstvereine funktionieren als Kaderschmieden. Sie entdecken und fördern die Künstler. Allerdings sollte man sich in erster Linie an dem Werk freuen, das man erwirbt – garantierte Preissteigerungen gibt es nicht.

Sowohl etablierte als auch marktfrische Kunst präsentieren Kunstmessen. Dort verkaufen Galerien die Arbeiten ihrer Künstler. Der weltweit wichtigste Treff für Anbieter und Nachfrager zeitgenössischer Kunst ist die Art Basel, die seit 1970 jedes Jahr im Juni Kunstliebhaber in die Schweiz zieht. In Deutschland bietet die Art Cologne, mit 50 Jahren die älteste Kunstmesse weltweit, die beste Möglichkeit, sich einen Überblick über den Markt zu verschaffen. Zu kaufen sind Werke prominenter Künstler wie die Holzfiguren des Bildhauers Stephan Balkenhol, aber auch weniger Bekanntes wie die Stoffarbeiten von André Mulzer.

Seit 1999 bringt die Affordable Art Fair frischen Wind in die Szene. Gegründet wurde sie in London mit dem Ziel, Arbeiten junger Künstler zu Preisen zwischen 50 und 2500 Pfund anzubieten. Mittlerweile präsentiert die Messe bereits in 14 Städten „bezahlbare Kunst“ – einmal jährlich gastiert sie in Hamburg, das nächste Mal vom 10. bis zum 13. November. Die Preisobergrenze liegt diesmal bei 7500 Euro. Neben junger Malerei und Fotografie gibt es auch Grafikeditionen zu kaufen.


Fast wie daheim Die Räume der Galerie Lumas sind besonders wohnlich gestaltet

4. GALERIEWOCHENENDEN
Der Trend zur Kunst beflügelt das Geschäft der Galerien. Sie wählen die Künstler aus, präsentieren ihre Arbeiten und fungieren so oft als Starthelfer. Dafür kassieren sie meist 50 Prozent des Verkaufspreises. Die Szene wächst auch hierzulande, vor allem in Berlin. Die Hauptstadt hat sich zu einer der wichtigsten Kunstmetropolen weltweit entwickelt. Rund 350 Galerien buhlen dort um Käufer.

Eine gute Gelegenheit, in die Kunstszene einzutauchen, bietet das jährlich stattfindende Gallery Weekend im April: Mehr als 50 Galerien laden zu Ausstellungen ein, darunter Sprüth Magers, Buchholz und Contemporary Fine Arts. Schwellenangst braucht hier niemand zu haben. Es lohnt sich, die Preislisten anzuschauen, denn selbst in etablierten Galerien gibt es ab und an Originale für wenige Hundert Euro zu kaufen. München und Frankfurt laden ebenfalls zu Galeriewochenenden ein.

Türöffner Das auf 150 Abzüge limitierte Foto „House of Magali“ (50 mal 70 Zentimeter) von Werner Pawlok kostet bei Lumas 472 Euro

Die auf Fotografie spezialisierten Galerien von Lumas vertreiben seit zehn Jahren mit großem Erfolg erschwingliche Arbeiten. Mehr als vierzig Verkaufsstellen haben 1800 Arbeiten von 200 Künstlern im Angebot. Die Ausstellungsräume sind wie Wohnzimmer gestaltet, sodass der Besucher sich vorstellen kann, wie das Foto zu Hause wirkt. Unikate sucht man hier vergebens. Die Auflagen der Kunstwerke liegen bei 75 bis 150 Exemplaren. „Handsignierte, limitierte Originale sind je nach Größe und Rahmung bereits unter 300 Euro erhältlich“, sagt Jan Seewald, Direktor von Lumas. Und was ist gerade angesagt? „Motive, die den Betrachter an exotische Orte bringen, wie die Kuba-Fotografien von Werner Pawlok.“

Um auf ihre Arbeiten aufmerksam zu machen, gehen viele Künstler ungewöhnliche Wege – so wie Rupprecht Matthies. Der von der Galerie Commeter vertretene Hamburger Kunsthochschul-Absolvent zeigt seine Wortwerke aus Plexiglas oder Metall seit mehr als 25 Jahren in Museen oder Galerien und gestaltet in Unternehmen wie Siemens gemeinsam mit Mitarbeitern Wände. „Ich möchte auch Leute begeistern, die sonst nichts mit Kunst zu tun haben“, sagt der 56-Jährige. So verkauft er neuerdings seine Werke auch auf dem Kreuzfahrtschiff MS „Europa“. Ab 200 Euro kostet ein Unikat.

Auch Matthies’ Werke steigen im Preis: „Wer vor zehn Jahren eine Arbeit für 300 Euro gekauft hat, könnte jetzt das Vierfache dafür erzielen“, sagt der Künstler, der jedoch darauf Wert legt, keinen Hype um seine Kunst entfachen zu wollen. „Ich achte darauf, dass sich die Preisentwicklung ruhig gestaltet.“

Und überhaupt: Am Ende zählt ohnehin der persönliche Geschmack. Wer will schon etwas im Wohnzimmer hängen haben, das nicht gefällt?

von JUDITH FELL-ZELLER


Blickpunkt Auf Einsteigermessen bieten sogar Superstars wie der Brite Damien Hirst Kunst für wenige Tausend Euro an

TIPPS FÜR DEN KUNSTKAUF

1. Finden Sie durch Ausstellungsbesuche aller Art heraus, was Sie mögen: Ob Fotografie, Malerei oder Skulptur – das Wichtigste ist, dass Ihnen die Arbeit gefällt und Sie damit leben wollen. Das Werk sollte Ihnen zusagen, unabhängig davon, was andere meinen.

2. Informieren Sie sich über die von Ihnen favorisierten Künstler: Haben sie an einer Kunsthochschule studiert? Wenn ja, bei welchem Professor? Haben sie in einer Galerie oder in einem Kunstverein ausgestellt? Hat eine Kunstzeitschrift bereits über sie berichtet?

3. Wollen Sie ein Unikat, also eine Arbeit, die es nur einmal gibt? Dann sollten Sie mit kleineren Originalgemälden oder Zeichnungen jüngerer Künstler beginnen. Oder möchten Sie ein Foto erwerben? Dann ist es wichtig, die Auflage zu kennen. Sie sollte auf der Arbeit verzeichnet sein. Oder interessieren Sie sich für Grafiken von namhaften Künstlern? Auch dabei sind die Auflage, aber auch die Signatur entscheidend. Zusätzlich gilt: je niedriger die Nummerierung, desto besser.

4. Ein Kunstwerk bereichert Ihr Leben und den Raum, in dem es platziert werden soll. Lassen Sie sich Zeit bei der Auswahl. Oft ist auch eine Probehängung möglich.

5. Scheuen Sie sich nicht, den Galeristen und, wenn möglich, den Künstler anzusprechen, Preise zu vergleichen und beim Kauf nach einem Rabatt zu fragen.


HIER GIBT ES BEZAHLBARE KUNST ZU KAUFEN

ONLINE-PLATTFORMEN
Das Angebot an Galerien im Netz wird immer vielfältiger, hier ist lediglich eine Auswahl weniger Anbieter erwähnt. Generell ist es am besten, ein Kunstwerk vor dem Kauf im Original zu sehen – nicht zuletzt, um die Authentizität zu prüfen.

WWW.ARTAX.DE Wer sich für Grafiken oder Fotos national und international bekannter Künstler wie etwa Christo oder Thomas Bayrle interessiert, wird hier fündig (Newsletter-Abo kostenlos).

WWW.ARTNET.DE Täglich kostenlos aktuelle Infos aus der internationalen Kunstszene per Newsletter. Außerdem kann man online zeitgenössische Kunstwerke ersteigern.

WWW.ABSOLUTART.COM Die schwedische Online-Plattform bietet „zeitgenössische Kunst von bekannten und aufstrebenden Künstlern“ – überwiegend Fotografien. Die Arbeiten kosten ab 100 Euro.

WWW.ARTFACTS.NET Keine Galerie, sondern ein Infoportal. Es liefert weltweite Infos über Künstler und Ausstellungen. Der erste Überblick ist kostenlos – wer Genaueres zur Preisentwicklung wissen will, muss einen Mitgliedsbeitrag (ab 240 Euro pro Jahr) zahlen.

MESSEN UND GALERIEN

ART BASEL Die Art Basel gilt als weltweit wichtigste Kunstmesse. Ausgewählte Galerien zeigen jedes Jahr Werke zeitgenössischer Künstler. 2015 stellten 280 Galerien aus 33 Ländern aus. Knapp 100 000 Kunstbegeisterte kamen. Ableger gibt es in Miami und Hongkong.

ART COLOGNE Die älteste Messe der Welt für Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts findet jährlich im April in Köln statt. 240 Aussteller, rund 60 000 Besucher.

AFFORDABLE ART FAIR Die 1999 in England gestartete Messe bietet inzwischen in 14 Städten weltweit Arbeiten jüngerer Künstler zwischen 50 und 7500 Euro an, der deutsche Ableger gastiert einmal jährlich in Hamburg.

GALLERY WEEKEND BERLIN Im April jedes Jahres gestalten die 50 renommiertesten Berliner Galerien ein gemeinsames Eröffnungswochenende, zudem öffnen weitere Galerien.

WWW.KUNSTVEREINE.DE Adressen aller deutschen Kunstvereine.

WWW.LUMAS.COM Die auf Fotoeditionen spezialisierte Galerie ist in mehr als 40 Städten vertreten, allein 13-mal in Deutschland.